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TU Berlin

Radiative Heating and Cooling in Circumstellar Envelopes

Peter Woitke

Dissertation, Technische Universität Berlin, 1997

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Zusammenfassung:

Kleine Festkörperpartikel von einer Größe bis zu etwa 1µm bilden auf den ersten Blick eine unbedeutende, eher störende Komponente der Materie in unserem Kosmos. Genauer betrachtet kommt diesen Staubteilchen jedoch eine grundsätzliche Bedeutung zu. Aufgrund ihrer großen Wirkungsquerschnitte für die Wechselwirkung mit Licht prägen sie in ganz entscheidender Weise das Erscheinungsbild des heutigen Universums. Sie beeinflussen wesentlich die dynamischen, thermischen und chemischen Eigenschaften des Gases in der Interstellaren Materie und sind ohne Zweifel mitverantwortlich für den kosmischen Kreislauf und die chemische Evolution der Materie. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß es ohne die Existenz der Staubteilchen weder die Erde, noch den Menschen, ja vielleicht nicht einmal die Sonne geben würde.

Die Bildung dieser Staubteilchen aus der Gasphase erfordert relativ spezifische thermodynamische Bedingungen. Neben hohen Dichten sind insbesondere niedrige, aber nicht zu niedrige Temperaturen unterhalb der Sublimationstemperatur des betrachteten Festkörpermaterials erforderlich. Diese Voraussetzung ist absolut zwingend.

Fragt man nach der Existenz solcher Bedingungen in astrophysikalischen Objekten, so liegen diese vor allem in den zirkumstellaren Hüllen von kühlen Riesensternen vor; demzufolge gelten die massiven Winde dieser Objekte als Hauptproduktionsstätten des Staubes im Universum. Bei Riesensternen mit Effektivtemperaturen unterhalb von etwa 3000K ist der Mechanismus der Staubbildung und des Massenverlustes --- nicht zuletzt durch die Arbeiten der Berliner Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Sedlmayr --- hinreichend verstanden: Bei genügend großen radialen Abständen vom Stern erreicht das Gas Temperaturen, die niedrig genug sind, um den Phasenübergang vom Molekül zum Festkörper zu ermöglichen. Die entstehenden Staubteilchen nehmen durch Absorptions- und Streuprozesse den Impuls des Strahlungsfeldes teilweise auf und geben diesen durch Stöße an das Gas weiter. Dieser Impulseintrag treibt den stellaren Wind.

Neben diesen Sternen gibt es eine Reihe von weiteren staubbildenden Objekten. Insbesondere existiert eine zahlenmäßig eher unbedeutende Klasse von R Coronae Borealis (RCB) Sternen, die sich nicht recht in das obige Bild einordnen lassen. Bei diesen Objekten kommt es in unvorhersagbaren zeitlichen Abständen immer wieder zur Bildung von riesigen Staubwolken, die den gesamten Stern vorübergehend verdecken können, so daß dieser für das bloße Auge für Monate oder Jahre vom Himmel zu verschwinden scheint 1. Beobachtungen legen nahe, daß der Staubbildungsprozeß bei diesen Sternen in einer Entfernung von nur einigen wenigen Sternradien stattfinden muß, obwohl die RCB-Sterne Effektivtemperaturen von etwa 7000K besitzen, die also heißer und viel leuchtkräftiger als die Sonne sind. Die vorliegende Arbeit nimmt diese Beobachtungsergebnisse ernst.

Gängige Methoden zur Temperaturbestimmung ergeben in so geringen radialen Entfernungen vom Stern sehr hohe Temperaturen, so daß die Staubbildungstheorien durch die RCB-Sterne auf eine harte Probe gestellt werden: Läßt sich die Staubbildung in der Nähe dieser Sterne mit den üblichen Theorien erklären? Setzt man die Gültigkeit der Theorien voraus, so müssen entweder die Beobachtungen falsch sein, oder es müssen in der Nähe dieser Sterne --- zumindest zeitweilig --- viel niedrigere Temperaturen als erwartet herrschen.

Kann es in der Nähe von heißen Sternen zu thermodynamischen Bedingungen kommen, die Staubbildungsprozesse zulassen? Angeregt durch diese Fragestellung untersucht die vorliegende Arbeit den thermischen Zustand dünner Gase unter dem Einfluß von stellaren Strahlungsfeldern. Es handelt sich hierbei zunächst um allgemeine (nicht RCB-spezifische), grundlegende Studien. Eine Methode zur zeitabhängigen Temperaturbestimmung von Gasen in zirkumstellaren Hüllen wird entwickelt, die von vornherein so konzipiert ist, daß sie als elementarer Bestandteil von komplexeren Modellrechnungen in zukünftigen Arbeiten verwendet werden kann.

Das thermodynamische Konzept dieser Methode beruht auf einer non-LTE Beschreibung des Gases, in der jedoch eine Geschichtsabhängigkeit der Konzentrationen der Moleküle und der Besetzungsdichten vernachlässigt wird. Stattdessen wird ein kinetisches Gleichgewicht (steady state) vorausgesetzt. Es wird gezeigt, daß diese Annahme eine gewöhnliche thermodynamische Beschreibung des Gases zuläßt.

Die folgenden radiative Prozesse werden in dieser Arbeit berücksichtigt: Linienübergänge von Atomen und einfach geladenen Ionen, Vibrations- und Rotationsübergänge von polaren diatomischen bzw. linearen Molekülen, Quadrupol-Übergänge von H_2, gebunden-frei-Übergänge von Atomen aus dem Grundzustand und (im Falle von Wasserstoff) aus angeregten elektronischen Niveaus, ferner Photodissoziationsprozesse und frei-frei-Übergänge. Diese Prozesse ergeben in der Summe die radiativen Heiz- und Kühlraten, d.h. die Wärmemengen, die das Gas durch Absorptionsprozesse pro Zeit aufnimmt bzw. durch Emissionsprozesse verliert. Die radiativen Heiz- und Kühlraten bilden somit die Grundlage zur thermodynamischen Modellierung des Gases.

Drei Anwendungen der entwickelten Methode werden vorgestellt:

Zunächst werden die stabilen Gleichgewichtszustände des Gases in den zirkumstellaren Hüllen von RCB-Sternen bestimmt. Diese Zustände zeichnen sich dadurch aus, daß sich die radiativen Heiz- und Kühlraten ausgleichen (Strahlungsgleichgewicht). Es wird jedoch festgestellt, daß das Strahlungsgleichgewicht eine zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung zur Berechnung des thermischen Zustand des Gases darstellt. Unter gegebenen Druck- und Strahlungsfeldbedingungen können mehrere Lösungen existieren, d.h. eine räumliche Koexistenz von heißen, atomaren Phasen neben kalten, molekularen Phasen erscheint prinzipiell möglich ("thermische Bifurkationen").

Der Relaxationsprozeß des Gases zum Strahlungsgleichgewicht wird in den zirkumstellaren Hüllen von C-Sternen untersucht. Hierbei wird insbesondere das Verhalten des Gases hinter Stoßwellen diskutiert, die durch eine Pulsation des zentralen Sterns verursacht werden. Es ergibt sich, daß nach der Passage einer solchen Stoßwelle nur ein hinreichend dichtes Gas in der Lage ist, den Strahlungsgleichgewichtszustand nach einiger Zeit wieder zu erreichen. Bei Teilchendichten <10^8cm{-3} verhält sich das Gas zunehmend adiabatisch, so daß schließlich die Bedingung des Strahlungsgleichgewichtes ihre bestimmende Bedeutung für die Temperaturstruktur dieser Sternhüllen verliert.

Schließlich wird das zeitabhängige thermische Verhalten des Gases in den zirkumstellaren Hüllen von pulsierenden RCB-Sternen genauer untersucht. Es wird eine periodische Situation studiert, in der das Gas in der Nähe des Sterns fortlaufend durch Stoßwellen erhitzt und komprimiert wird, und in der Zwischenzeit reexpandiert. In einem bestimmten Dichtebereich kann dabei das Gas durch einen 2-Stufen-Prozeß, bestehend aus radiativer Kühlung gefolgt von adiabatischer Expansion, Temperaturen erreichen, die weit unterhalb der Strahlungsgleichgewichtstemperatur liegen. Schon bei radialen Abständen von etwa 1.5-3R_* treten hierbei zeitweilig Temperaturen unterhalb von 1500K auf, abhängig von der Stoßwellengeschwindigkeit. Diese Arbeit stellt daher die Hypothese auf, daß die Kondensation von Rußteilchen in der Nähe der RCB-Sterne durch Stoßwellen verursacht wird, wodurch die spektakulären Verdunklungsereignisse dieser Objekte auslöst werden könnten.

Die vorliegende Arbeit enthält somit grundlegende Erkenntnisse über das thermodynamische Verhalten der Gase in zirkumstellaren Hüllen. Neue, alternative Wege zur Staubbildung werden aufgezeigt.

1 Ähnliche, wenn auch nicht derart spektakuläre Beobachtungen liegen für Wolf-Rayet-Sterne und Novae-Explosionen vor.

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