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TU Berlin

Die Astronomie im geteilten Berlin

Astronomie an den West-Berliner Hochschulen

von Dr. Jens-Peter Kaufmann

Dieser Artikel ist Teil eines Sammelbandes, der von den Berliner Sternwarten zum 100jährigen Jubiläum der Archenold-Sternwarte und zum 50jährigen Jubiläum der Wilhelm-Förster-Sternwarte herausgegeben wird.
Daß das Institut 1997 sein 25jähriges Jubiläum feiert, ist ein schöner und passender Zufall.

Nach dem Kriege gab es 1945 in West-Berlin infolge der Grenzziehung weder ein astronomisches Observatorium noch sonstige astronomische Forschungsstätten. Da beobachtende Astronomie in einer Großstadt wegen der Luft- und Lichtverschmutzung ohnehin nicht mehr sinnvoll ist, wurde das Fehlen eines Observatoriums nicht als schmerzlicher Verlust empfunden. Jedoch wurde nach den ersten Aufbaujahren und in Hinblick auf die offensichtlich dauerhafte Teilung Deutschlands und Berlins die Notwendigkeit von Astronomie als Forschungs- und Lehrfach erkannt. Daher wurde zunächst an der Freien Universität (1954) der Lehrstuhl für Astronomie am 1. Mathematischen Institut eingerichtet, somit konsequenterweise der historischen Entwicklung (bis 1850) folgend, wo die klassische Astronomie vorwiegend mathematisch bestimmte Himmelsmechanik war. Der Lehrstuhlinhaber, Fritz Hinderer, beschäftigte sich hauptsächlich mit Veränderlichen Sternen, wobei er sein umfangreiches Beobachtungsmaterial von der Sternwarte Babelsberg auswertete. Das Fach Astronomie konnte von den Studenten der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät als Nebenfach absolviert werden. Die Durchführung der nötigen Praktika erfolgte an der Wilhelm-Foerster-Sternwarte, der West-Berliner Volkssternwarte.

Der Wunsch nach Astronomie an der Technischen Universität kam aus den Reihen der Physiker. Insbesondere war Hermann Slevogt vom Optischen Institut maßgeblich an der Einrichtung des Lehrstuhls für Astrophysik (1968) beteiligt. Die Namensgebung sollte die bewußte Zuordnung zum Fachbereich Physik deutlich machen und damit die Tatsache, daß Astronomie seit 1850 vorwiegend Physik ist. Erster Ordinarius war Kurt Hunger, welcher der Kieler Unsöld Schule entstammte. Entsprechend lag der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit auf der Physik der Sternatmosphären. Daneben wurde von Jürgen Rahe Kometenforschung betrieben. Das Spektrenmaterial, die Grundlage zur Analyse der Atmosphären von Sternen mit anormal hohen Heliumhäufigkeiten, wurde an auswärtigen Observatorien gewonnen, besonders an der Europäischen Südsternwarte (ESO) auf La Silla (Chile). Das 1973 angeschaffte eigene 40-cm-Spiegelteleskop diente der Ausbildung der Studenten und erhielt einen Platz auf TU-Gelände in Berlin-Dahlem (Hellriegelstraße).

Das Fach Astrophysik wurde an der TU 1972 durch Umwandlung des Lehrstuhls in ein Institut für Astrophysik noch stärker etabliert. In den folgenden Jahren wurde die Physik der Sternatmosphären auch auf die Atmosphären im Nichtgleichgewicht ausgedehnt und bei der Erforschung der He-reichen Sterne fruchtbare Arbeit geleistet.

Das Jahr 1978 brachte einen Wandel in mehrfacher Beziehung. Nachdem K. Hunger 1976 als Unsöld-Nachfolger nach Kiel berufen wurde, übernahm 1978 Roland Wielen vom Astronomischen Rechen-Institut in Heidelberg die Leitung des Instituts der TU. Zugleich betrieb er erfolgreich die Zusammenlegung mit dem Lehrstuhl für Astronomie an der FU. Die Fusion erfolgte 1978-79 an der TU. Das Institut für Astronomie und Astrophysik war in Forschung und Lehre nun für TU und FU zuständig.

Durch den neuen Namen sollte ausgedrückt werden, daß zwar moderne Astronomie im wesentlichen Physik ist, aber in dem Fach auch die lange Geschichte der Astronomie und damit der Naturwissenschaft enthalten ist und dieses Erbe bewußt gepflegt werden sollte. Das vereinigte Institut verfügte (1980) über folgende Stellen: 3 Professoren, 1 Universitätsrat, 5 wissenschaftliche Mitarbeiter, 5 Tutoren, 1 Programmierer, 1 Technischer Angestellter, 1 1/2 Sekretärinnen. Dazu kamen ca. 15 Diplomanden und Doktoranden. Das Fach Astronomie und Astrophysik war an der FU sowohl für Physiker als auch für Geophysiker, Mathematiker, Meteorologen als Wahlpflichtfach im Hauptstudium wählbar. An der TU konnte es ebenfalls im Hauptstudium gewählt werden und wurde später (1984) wegen des großen Interesses der Physikstudenten auch als Wahlpflichtfach im Grundstudium (vor dem Vordiplom) eingeführt.

1980 kam im Rahmen der Integration der Pädagogischen Hochschule in die Universitäten Klaus Beuermann an das Institut. Erwin Sedlmayr vom Institut für Theoretische Astrophysik, Heidelberg, wurde auf die durch Emeritierung von F. Hinderer (1978) freigewordene Professur berufen. Damit erweiterte sich das Forschungsspektrum des vereinigten Instituts für einige Jahre erheblich:

Bei der stellaren Physik führte Jens P. Kaufmann die Arbeiten über die He-Sterne weiter. K. Beuermann untersuchte insbesondere Röntgendoppelsterne. E. Sedlmayr arbeitete auf dem Gebiet der Staubbildung in den Hüllen kühler Riesensterne. R. Wielen brachte die Dynamik von Sternsystemen in die Berliner Forschung ein und war maßgeblich an den Vorarbeiten zum Einsatz des Astrometriesatelliten HIPPARCOS beteiligt. Während seiner Berliner Zeit wurde insbesondere die Bibliothek des Instituts stark erweitert und zum Sonderstandort der Universitäts-Bibliothek erklärt.

Im Jahre 1985 konnte das Institut endlich angemessene Räume im Physik-Neubau der TU in der Hardenbergstraße beziehen und die bisherigen Räume im ehemaligen AEG-Telefunkenhochhaus am Ernst-Reuter-Platz verlassen. In einer Kuppel auf dem Dach des Gebäudes fand auch ein zusätzlicher 20-cm Refraktor für das Astrophysikalische Praktikum Platz. Im gleichen Jahr wurde R. Wielen als Direktor an das Astronomischen Rechen-Instituts nach Heidelberg berufen. Damit verlagerten sich abermals die Schwerpunkte der wissenschaftlichen Tätigkeit. Während die Arbeiten zur Dynamik von Sternsystemen innerhalb weniger Jahre ausliefen, wurden die verbleibenden Gebiete verstärkt. E. Sedlmayr baute mehrere Arbeitsgruppen auf, die sich mit der theoretischen Modellierung der Hüllen Roter Riesen, insbesondere mit der Hydrodynamik, dem Strahlungstransport, der Molekül- und der Staubbildung beschäftigen. K. Beuermann arbeitete vorwiegend an optischen und Röntgen-Beobachtungen von kataklysmischen Variablen und Röntgen-Doppelsternen sowie deren Akkretionsscheiben, aber auch von aktiven Galaxien. Beide Forschungsbereiche waren unter dem Titel Akkretion und Winde die Hauptthemen der Frühjahrstagung der Astronomischen Gesellschaft 1990 in Berlin, bei welcher zum ersten Mal seit 1945 ost- und westdeutsche Fachkollegen wieder ungehindert zusammenkommen konnten.

Nachdem K. Beuermann 1991 einem Ruf nach Göttingen folgte und E. Sedlmayr 1995 den Ruf auf die C4-Stelle des Instituts erhielt, wurde das Forschungsgebiet des Instituts noch homogener. Es umfaßt heute generell die Molekül- und Staubbildung, d.h. die Entstehung des Festkörpers im Weltall, wobei die Entwicklung z.T. in Richtung Astrochemie, Biomoleküle, Leben im Weltall geht.

An der Entwicklung der Astronomie in West-Berlin lassen sich einige wesentliche Merkmale moderner Universitätsastronomie ablesen. Forschung und Lehre wurden stärker in das Gesamtkonzept des Fachbereichs Physik einbezogen. So ist die astrophysikalische Forschung unter dem Titel Kosmischer Materiekreislauf einer seiner Forschungsschwerpunkte, welche organisch aufeinander abgestimmt und vielfältig miteinander verknüpft sind. In der Lehre haben die Erfahrungen der letzten 25 Jahre gezeigt, daß die Astronomie nicht zuletzt durch ihre jahrhundertelange Geschichte und ihre spezifischen Aufgabenstellungen Anziehungspunkt für Studierende der verschiedensten Disziplinen war, wie Physik, Geophysik, Mathematik, Chemie, Raumfahrttechnik aber auch Philosophie und Wissenschaftsgeschichte.

Es ist eine Herausforderung und Aufgabe für die Zukunft, diese wichtige interdisziplinäre Rolle und integrierende Funktion der Astronomie an einer Universität bewußter zu machen und sie durch entsprechende Gestaltung der Forschungsziele, der Vorlesungen und Praktika noch zu verstärken.

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