Van Dusen und der Tod im Funkhaus

Carsten Muencheberg cm at snafu.de
Die Jan 27 00:26:40 CET 1998


Hier der Artikel aus dem Tagesspiegel:

Eine Anmerkung dazu sei gestattet: Nicht nett von Herrn Bünger finde
ich, daß er den Lapsus "akriebig", den er wohl in einer Angebotsliste
des Fanclubs gefunden haben muß, so herausstellt. Ihm unterläuft nämlich
selbst einer: Der zweite Vorname von Herrn Bauschulte lautet
selbstverständlich W. (Wilhelm) und nicht A. 

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DER TAGESSPIEGEL	Nr. 16 231 / MONTAG, 26. JANUAR 1998

Van Dusen und der Tod im Funkhaus
Deutschlandradio tauscht Rias-Krimireihe nach zwanzig Jahren gegen neue
Serie aus
VON REINHART BÜNGER

Ein Kultkrimi, ein Kasperlespiel für Erwachsene, eine
Hörfunk-lnstitution: Professor Dr. Dr. Dr. Augustus Van Dusen löst seit
zwanzig Jahren Mordfälle auf den Hörfunkfrequenzen des
Rias/Deutschlandradio Berlin. Der Kriminologe gehört mit Hans Rosenthal
("Das ist Spitze") und Friedrich Luft ("gleiche Stelle, gleiche Welle")
zum akustisch eindringlichsten Unterhaltungstrio des ehemaligen
Frontstadtsenders im einst geteilten Berlin. Dieses Trio bewegte in den
Zeiten des Kalten Krieges Herz und Verstand der Berliner: Luft mit
seinen atemlos gesprochenen Theaterkritiken, Rosenthal mit seinem
"Klingenden Sonntagsrätsel", Van Dusen mit seinen verwickelten
Kriminalfällen. Rosenthal und Luft starben natürlicher Tode, Augustus
Van Dusen natürlich nicht. Den segnet nun buchstäblich das Zeitliche -
unter dem Signet der Rias-Berlin-Nachfolgestation Deutschlandradio, die
mit Van Dusen nichts mehr anfangen kann (oder will). Im Gegensatz zu
vielen Kollegen, die in den Vorruhestand gehen konnten, wird dieser
rüstige Rias-Mann, den sie im Funkhaus als "die Denkmaschine" verehren,
in den Tod getrieben. Die nach 1945 wohl längste deutsche
Hörspiel-Krimiserie in der Tradition der guten alten Radiozeiten ist
damit Schall und Rausch. Bis zum Herbst noch werden die 76 produzierten
Folgen wiederholt. Dann soll die Van-Dusen-Reihe durch eine neue
Krimiserie ersetzt werden.

Die offizielle Begründung aus der Pressestelle des Deutschlandradio
Berlin ist schlicht: Dem Autor fiele nichts mehr ein. Michael Koser, der
die Figur des Van Dusen nicht erfunden, doch in stürmischen
Wilhelmhavener Nächten in alle Welt fortgeschrieben hat, dementiert dies
auf Anfrage. "Die Idee kam vom Sender, ich hätte sicher noch ein paar
Folgen schreiben können." Immerhin besitzt der studierte Historiker
Koser (59) eine anregende Bibliothek mit 20 000 Titeln, darunter ein für
Van-Dusen-Fälle unentbehrliches Meyer-Universallexikon aus dem Jahre
1896. Es enthält viele jener historischen Stadtpläne, die Koser und Van
Dusen zur Aufklärung ihrer Fälle dringend benötigen. Die Fälle spielen
schließlich zur Zeit der Belle Époque - also zu Beginn des 20.
Jahrhunderts in Frankreich. Prof. Dr. Dr. Dr. Van Dusens Missionen sind
dabei unpolitischer Natur, die heutige Wiederholung der zweiten Folge um
19 Uhr 05 und Folge 32 ("Prof. Van Dusen trifft Kaiser Wilhelm")
vielleicht einmal ausgenommen.

In den von Regisseur Rainer Clute ohne übliche Krimi-Effekte mit
leichter parodistischer Hand inszenierten 60-Minuten-Stücken geht es
etwa um den "Kopfjäger von Singapur" oder um Morde, die mit vergifteten
Pfeilen verübt wurden, die über Gummibänder in Bewegung versetzt wurden
(der Schütze wird mit Schwielen an Daumen und Zeigefinger überführt).
Friedrich A. Bauschulte spricht Van Dusen mit humorvollem Understatement
und Klaus Herm agiert als der stets etwas begriffsstutzige Reporter und
Adlatus Hutchinson Hatch. Die Erzählmuster sind vertraut: Der
amerikanische Schriftsteller Jacques Futrelle hatte die Van-Dusen-Figur
1906 erfunden - als weitaus genialeres Gegenbild zum Sherlock Holmes des
berühmten Kollegen Conan Doyle, der über Kriminalschriftsteller einmal
sagte, sie seien wie Spinnen, die schon die Fliege gefangen hätten,
bevor ihr Spinnennetz gewoben sei. Nach dem Tod des 1875 geborenen
Futrelle - er versank 1912 erstklassig mit der "Titanic" - setzte Koser
dessen Arbeit 1977 auf Anraten Hans Rosenthals fort. Die etwa vier neuen
Folgen pro Jahr waren in ihrer ironisch gebrochenen Distanz beim
Publikum so beliebt, daß sich 1986 in Berlin ein Fan-Club gründete, der
T-Shirts, Kassettenmitschnitte und eine ausführliche Chronik ("akriebig
genau") vertreibt. Doch auch die Fans werden kaum verhindern können, was
nun mit Koser ausgemachte Sendersache ist.

"Das Deutschlandradio hat die Aufgabe, mit Geschichte umzugehen",
erklärt Torsten Enders (44), der in der Hörspielabteilung des
Deutschlandradio Berlin für Kriminalhörspiele zuständige Redakteur, "und
mit Van Dusen ist das nicht immer einfach gewesen - ein sensibles Thema,
eingebettet in die Rias-Problematik." Das habe "auch ein bißchen mit dem
Zeitgeist zu tun". Kurzum: Bei Koser sei eine neue Krimireihe unter dem
Titel "Cocktail für Zwei" in Auftrag gegeben worden. Der geschichtliche
Hintergrund der Geschichten, die in den zwanziger Jahren spielen, wird
stärker ausgearbeitet. Im Mittelpunkt der Reihe stehen der Offizier
Felix, der von Cornelius Obonja gesprochen wird, und die Spionin Cora
(Maren Kroymann); beide sollen als Gaunerpärchen durch die
Weltgeschichte laufen. Die Geschichten werden wieder von Rainer Clute
inszeniert. Die ersten Folgen sollen Ende August/Anfang September zu
hören sein.

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